Wenn der Esel singt, tanzt das Kamel

Es war einmal ein Kaufmann, der ging auf Reisen. Auf dem Weg verletzte sich eines der Kamele und blieb zurück. Er war gerade in der Nähe einer kleinen Insel, so ließ er das Kamel dort zurück und sagte sich: „Wenn ich es schlachte, dann ist niemand außer mir da, der all das Fleisch essen kann – so würde eine von Gott erlaubte Tat zu einer verbotenen Verschwendung.  Also will ich es lebendig auf der Insel zurücklassen. Falls es gesund wird, so ist das seine Bestimmung, falls es stirbt,  eben auch. „

Es verging eine weile, da zog eine Karawane vorüber, bei der ein Esel war, der sich scher verletzt hatte und keine Last mehr tragen konnte. Ihn ließ man auch auf der Insel zurück. Als sich der Esel auf der Insel umsah, entdeckte er das Kamel. Das Kamel hatte mittlerweile gut gefressen und geweidet, und es war ein wenig dick geworden. Der Esel sagte zu dem Kamel: “Mein Freund, was tust du hier?“

„Bei Gott, ich war eine Weile krank“, antwortete das Kamel. „Ich würde zurück gelassen und die Karawane ist ohne mich weitergezogen. Warum bist du hier?“ Der Esel erwiderte: „Wir haben uns Sorgen um dich gemacht, da hat man mich auch hier zurückgelassen und ist weitergezogen. So blieb der Esel eine Weile bei dem Kamel, schlief, fraß und wurde gesund.

Eines Abends zog eine Karawane dort vorbei, und man hörte, wie die Glöckchen der Karawane läuteten. Der Esel begann zu iahen, das Kamel aber sagte zu ihm: „Mein Freund, singe nicht, gleich werden sie deine Stimme hören, dann kommen sie und entdecken uns.“

„Kamerad, bei deiner Seele,“ erwiderte der Esel. „Ich höre das Läuten der Glöckchen meiner Gefährten. Da muss ich singen.“ „Sing nicht“, warnte das Kamel, „sonst werde ich ein anderes Mal tanzen müssen.“ Der Esel aber entgegnete: „Lass mich singen, bis du mit dem Tanzen an der Reihe bist.“

Die Kinder des Karawanenführers hörten den Gesang des Esels, sie gingen zu ihrem Vater und teilten ihm mit, dass sie von der Insel einen Esel Iahen hörten. Der Karawanenführer sagte: „Schlagt das Lager auf. Wenn es am Morgen hell wird, werden wir hingehen.“ Als sie am Morgen auf die Insel kamen, um den Esel zu suchen, sahen sie, dass dort auch ein Kamel im Wert von tausend Pfund war. Sie finden das Kamel und den Esel ein und nahmen sie mit. Sie packten ihnen eine schwere und eine leichte Last auf, eine Last auf dem Kamel, und eine auf dem Esel.

Wie sie nun weiterzogen, wurde der Esel müde und legte sich hin. Da sagten die Leute: „He nun, er kann nicht mehr tragen. Wir wollen seine Last dem Kamel aufpacken.“ Als es bald Nachmittag wurde, kamen sie an einen Fluss. Der Esel blieb am Ufer des Flusses stehen, und was sie auch taten, so sehr sie ihn auch anbrüllten, er sollte durch den Fluss gehen, erging nicht. Da sagte der Karawanenführer: „Wir wollen etwas anderes machen: Hebt den Esel hoch, und ladet ihn auf das Kamel, damit wir so den Fluss durchqueren können.“ Die anderen meinten. „Das ist kein schlechter Vorschlag.“ Sie hoben den Esel an allen vier Füßen hoch und setzten ihn auf das Kamel. Als das Kamel in der Mitte des Flusses anlangte, begann es, mit den Beinen zu schlenkern. Der Esel fragte besorgt: „Mein Freund, was machst du da?“

„Ich habe Lust zu tanzen“, erwiderte das Kamel. „Ich will tanzen.“ „Brüderchen“, rief der Esel, „hier mitten im Fluss ist doch kein Platz zum Tanzen!“  Das Kamel aber entgegnete: „Damals, als ich zu dir gesagt habe, du solltest nicht singen, weil wir sonst eingefangen würden, da hast du gesagt: „Ich muss jetzt singen!“ „Also muss ich jetzt tanzen.“ Damit warf das Kamel den Esel ins Wasser, stieg aus dem Fluss und war auch die übrige Last ab. Es lief davon, so schnell es konnte und rettete sich so vor dem Dienst bei den Menschen.

aus: Persische Märchen und Schwänke. Herausgegeben und übersetzt von Ulrich Marzolph, Diederichs 1994.