Afrikanische Jugendbücher 2014

2014 haben wir häufig über politische Ereignisse und Entwicklungen in den Ländern Afrikas berichtet. Denn in diesem letzten Jahr standen die Zeichen auf Sturm, was Regierungswechsel, Terrorakte und Epidemien betraf. So kam es, dass die Erzähler unseres Nachbarkontinents ins Hintertreffen gerieten. Dabei sind sie es, die das Leben der Menschen jenseits von Wahlen, Krieg und Terror schildern. Sie erzählen von den Hoffnungen und Träumen der jungen Generation. In ihren Geschichten begegnen uns Romantiker und Tagträumer, Verlierer und Kämpfernaturen. Die meisten dieser neuen Helden sind fast noch Kinder, doch sie denken und handeln oft schon wie Erwachsene. Ihre zumeist schwierigen Lebensumstände haben ihr Beurteilungsvermögen geschärft. Sie sind kritisch, selbstbewusst, weltoffen und pragmatisch. Sie wollen ihre Chancen jetzt wahrnehmen, und wenn das in ihrer afrikanischen Heimat nicht möglich ist, zögern sie nicht, ihre Koffer zu packen und sich auf den Weg zu machen. Deshalb drehen sich viele Geschichten aus dem letzten Jahr um Flucht, Weggehen und Ankommen. Folgen wir also den Spuren ihrer Reise durch den afrikanischen Kontinent wie auch jenseits davon.

 

Flucht nach Europa - der Traum von einem besseren Leben

Iman (c) WagenbachIman

von Ryad Assani-Razaki. Klaus Wagenbach Verlag 2014

Es war einmal ein sechsjähriger Junge, der schwarz war. Er hieß Toumani. Seine Eltern lebten auf dem Land, sie waren arm und brauchten Geld. So verkauften sie  ihn an eine Frau in der Stadt für dreiundzwanzig Euro. Die Frau nahm Toumani mit. Er lernte schnell, dass es vielen Kindern ähnlich ging wie ihm, sie wurden als Arbeitssklaven verkauft  und mussten ihren neuen Besitzern zu Diensten sein. In der großen Stadt traf er Alissa, die sein Schicksal teilte. Als die beiden getrennt wurden, schenkte sie ihm einen Plastikohrring als Pfand. Toumani wurde weiter verkauft an einen grausamen Mann, dem er dienen musste. Er lernte rohe Gewalt kennen und kam beinahe ums Leben. Wäre da nicht Iman gewesen. Der Junge rettete Toumani aus höchster Gefahr. Toumani verlor ein Bein, aber er gewann einen Freund auf Leben und Tod. Der Freund trug nicht weniger schwer am eigenen Schicksal. Er war weder schwarz, noch weiß, von der Mutter verstoßen. Er hatte sich im Leben auf der Straße eingerichtet und zeigte Toumani, wie man am untersten Ende der Gesellschaft überlebt. Imans Name bedeutet Glaube. Stets ging sein Blick in die Ferne. Er kannte nur eine Hoffnung: die Flucht. Bis ihn eines Nachts Alissa ansah und festhielt, obwohl sie zu Toumani gehörte.

Der Roman erzählt von dem Schicksal dreier junger Menschen, die alles verloren haben und auf der Suche nach Geborgenheit Freundschaft und Liebe, Hass und Verrat erfahren. Was klingt wie ein grausames Märchen, ist bittere Wahrheit. Die Lebens- und Leidensgeschichten von Toumani, Alissa und Iman stehen stellvertretend für die Zustände, die auch heute noch in einigen afrikanischen Ländern herrschen. Der Autor Ryad Assani-Razaki wurde in Benin geboren, einem westafrikanischen Land, das ehemals eine Kolonie Frankreichs war. Anders als seine Hauptfiguren kommt er aus einer wohlhabenden Familie, und nach einem Informatikstudium in den USA lebt und arbeitet er heute in Kanada. „Iman“ ist sein erster Roman. Eindringlich schildert er darin, was Menschen dazu bewegen kann, ihre Heimat hinter sich zu lassen und die waghalsige Überfahrt nach Europa zu wagen.

Der umgekehrte Weg - Reise nach Afrika, um sich selbst zu finden

Colours of Africa cover (c) CoppenrathColours of Africa

von Ellen Alpsten. Coppenrath Verlag 2014

Ava hat ihr Abitur bestanden und fragt sich, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Sie erfährt von einer Hilfsorganisation, die in Kenia im Einsatz ist. Trotz ihrer Angst und Unsicherheit wagt sie den Schritt ins Ungewisse und reist nach Afrika. Tagsüber arbeitet sie im Slum von Nairobi und versucht, den Kindern Kunst näher zu bringen. Abends stürzt sie sich in das pulsierende Nachtleben der kenianischen Hauptstadt. Ava lernt zwei charmante Männer kennen: James und Mats. James Cecil ist der Sohn eines reichen Großgrundbesitzers. Er eröffnet Ava eine exotische, dekadente Welt. Gleichzeitig fühlt sie sich auch zu ihrem Teamleiter Mats hingezogen. Durch die beiden lernt Ava, dass es in Afrika nur zwei Extreme zu geben scheint, entweder ist man Himmel hoch jauchzend oder zu Tode betrübt. Bei all dem Leid und der Armut ist es schwierig für sie, nicht den Glauben an die Menschheit zu verlieren. Doch Mats und James versuchen ihr  jeweils eine andere Seite von Afrika zu zeigen. Schon bald sitzt sie zwischen allen Stühlen. Wer tatsächlich ihr Herz erobern kann und wie sie die Zeit in Afrika übersteht, das liegt noch im Ungewissen.
Das schöne an der Geschichte ist die Entwicklung von Ava. Die verzogene Göre wandelt sich zur verantwortungsbewussten jungen Frau. Sie lernt ihren Weg zu gehen, Entscheidungen zu treffen und anderen zu helfen.
Eine Freundin aus dem Slum, die nichts besitzt und trotzdem immer weiter kämpft, wird zu Avas gutem Geist. Sie zeigt ihr, wie kostbar das Leben ist und dass die Familie das größte Geschenk ist.

Ellen Alpsten, die in Kenia geboren wurde und dort ihre Kindheit verbrachte, erzählt in dem Jugendbuch "Colours of Africa" mit großer Intensität von neuen Erfahrungen in einer Welt voller Wunder und Extreme und von der großen Liebe.

 

Flucht vor den Schatten der Vergangenheit

Patchwork (c) WunderhornPatchwork

von Ellen Banda-Aaku. Wunderhorn Verlag 2014.

Lusaka 1978, eine von europäischen Siedlern gegründete Stadt, die einst zu Nordrhodesien gehörte. Das war vor der Unabhängigkeit. Danach war Lusaka das Zentrum des unabhängigen Sambia, eine fiebrige Stadt mit europäischem Flair und afrikanischem Kampfgeist: die Männer wollten Geschäfte machen, reich werden, die Frauen wollten Familie haben und sich die reichen Männer angeln. In diese Atmosphäre wird Pumpkin hineingeboren. Ihr Pech: sie ist unehelich geboren, ein Makel im traditionellen Sambia. Als 9-jähriges Mädchen ist Pumpkin bereits gezwungen, ein Netz aus Lügen zu erfinden, um die Fassade einer intakten Familie aufrechtzuerhalten. Ihr Vater, ein reicher Geschäftsmann, lebt an einem anderen Ort mit einer anderen Familie. Ihre Mutter, nach außen hin eine der elegantesten Frauen des Viertels, ist eine Verliererin in dem neuen Sambia. Sie ist dem Alkohol verfallen. Kein Wunder, ihre Mutter, Pumpkins Großmutter, betreibt eine Bar in der vergnügungssüchtigen Stadt. Sie hasst den Vater so sehr, wie ihn die Mutter liebt. Als Pumpkins Vater entdeckt, dass ihre Mutter alkoholabhängig ist, nimmt er das Mädchen mit zu seiner Familie. Er glaubt, nur das beste für seine Tochter zu tun. Doch für Pumpkin ist es die Hölle. In der neuen Familie erwarten sie Verachtung und Ausgrenzung. Die Schwierigkeiten und Unsicherheiten der Kindheit lassen Pumpkin selbst als erwachsene Frau nicht los. Mittlerweile ist sie eine angesehene Architektin und selbst Mutter, doch die Geister der Vergangenheit lassen sie nicht los. Der Roman erzählt von Frauen aus drei Generationen, von ihren Hoffnungen, ihren Liebschaften und Entbehrungen. Die Autorin entfaltet die Schicksale vor dem Hintergrund sozialer Umwälzungen und des Krieges, der aus dem Nachbarland, damals Rhodesien, herüberschwappt.

Ellen Banda-Aaku siedelt ihren Debütroman um eine Patchworkfamilie im Sambia der 1970er Jahre an. Es ist eine Zeit, in der die Kindheit schnell zu Ende geht; in der sich die streitbarsten und mächtigsten Afrikaner im Land um die aussichtsreichsten Posten streiten, während die Frauen ihren Platz zwischen traditioneller Familie und moderner Gesellschaft suchen. Gekonnt bezieht die Autorin das gesellschaftliche und politische Geschehen im modernen Sambia in die Schicksale der Figuren ein.

 

Flucht aus einem Schattendasein

Nanas Liebe (c) Peter Hammer VerlagNanas Liebe

von Sonwabiso Ngcowa. Peter Hammer Verlag 2014

Nana wächst in ärmlichen Verhältnissen auf dem Land auf. Sie wird umsorgt von der geliebten Großmutter. Als diese in finanzielle Not gerät, muss die 14jährige zu ihren Eltern ziehen, die am Rande von Kapstadt im Township Masi leben. Der unerwartet liebevolle Empfang durch die Familie hilft ihr über den Trennungsschmerz hinweg. In Nanas neuer Schule haben die Mädchen nur eins im Kopf: das richtige Outfit und Jungs! Nana fühlt sich fremd, weil sie die Leidenschaft der anderen nicht teilt. Erst als sie sich in Agnes, ein Mädchen aus der Nachbarschaft, verliebt, beginnt sie, sich selbst zu verstehen. Nana erfährt nun beides: großes Glück und die Angst vor Ablehnung und brutaler Gewalt. Denn obwohl das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung in Südafrika im Gesetz verankert ist, ist die Stimmung gegen die „Abartigen“ offen aggressiv. Der Weg, den Nana für ihre Liebe gehen muss, ist steinig, aber das Mädchen lässt sich nicht beirren, und irgendwann kommt sie an in ihrem eigenen Leben. Die 16jährige Nana begegnet im Bus der 13jährigen Phelokazi. Sie ist fasziniert von dem jungen Mädchen und glaubt, dass Phelokazi lesbisch ist. Sie outet sich und beschließt, ihre Geschichte für sie und andere Jugendliche aufzuschreiben. Darin erzählt sie, wie sie wurde wer sie ist, wie sie Agnes traf und sie sich verliebten, wie andere sie wegen ihrer Liebe umbringen wollten, sie sich verteidigt haben und warum sie immer noch ein Paar sind.

Die Geschichte hat sich in einem Township in Südafrika zugetragen, irgendwann im Jahr 2010. Vor dem Hintergrund einer wahren Begebenheit erzählt der junge Südafrikaner Sonwabiso Ngcowa die Geschichte von Nana, einem Mädchen, das nicht mehr verbergen wollte, dass sie anders ist als die anderen

Flucht vor einem widersinnigen Krieg

Der Tag der Krokodile (c) CarlsenDer Tag der Krokodile

von Michael Williams. Carlsen 2013

Die Geschichte handelt von dem 14-Jährigen Jabu, der mit ansehen muss, wie Soldaten sein Heimatdorf auslöschen. Alle Einwohner werden niedergemetzelt, auch seine Eltern gehören zu den Opfern. Nur er und sein älterer Bruder Innocent können fliehen. Innocent ist geistig zurückgeblieben und daher muss Jabu die Rolle des Erwachsenen übernehmen. Sie machen sich von Gutu in Simbabwe auf den Weg nach Südafrika, weil sie nicht wissen, was sie sonst tun sollen. Auf ihrer Reise müssen sie sich Schleusern anvertrauen, die sie über die Grenze nach Südafrika bringen. Sie müssen dabei durch einen Fluss, der  voll von Krokodilen ist. Sie lernen, dass sie nur manchen Menschen vertrauen können, die meisten sind ihnen nicht wohl gesonnen. Irgendwann erreichen sie ihr Ziel, Johannisburg, die Stadt, wo einst die Anti-Apartheid Bewegung ihren Ausgang nahm. Sie geraten mitten zwischen die Fronten eines Aufruhrs. Der Rassenhass ist noch nicht lange vorbei,  da tobt ein neues Gespenst durch die Straßen der Stadt. Es ist ein zügelloser Hass auf Fremde. Jabu erzählt die Geschichte aus seiner Sicht. Er glaubt an Geister und Legenden. Aber er versucht es sich vor Innocent nicht anmerken zu lassen. Denn der fürchtet sich vor allem und steht immer kurz davor, epileptische Anfälle zu bekommen, wenn er in Stress gerät. Jabu hat eine große Leidenschaft und das ist Fußballspielen. Sobald sich die Gelegenheit ergibt, spielt er mit anderen Jungs Fußball. Die Nationalitäten sind egal. Nur das Spiel zählt. Jabu entwickelt sich von einem naiven Jungen zu einem jungen Erwachsenen. Der Fremdenhass ist allgegenwärtig, aber Jabu lernt, wie er mit Hilfe des Fußballspiels Toleranz entwickeln kann. Das Ende macht Mut und regt zum Nachdenken an.

"Der Tag der Krokodile" erschien 2009, ein Jahr vor der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika. Der Fremdenhass dort war überwältigend. Die Einwohner machten die billigen Arbeitskräfte aus den Nachbarländern für ihre Armut verantwortlich. Michael Williams Charaktere sind zwar erfunden, dennoch erzählt er von tatsächlichen Geschehnissen. Im Nachwort erfährt man etwas über die Straßenkämpfe von 2008, in denen Ausländer auf der Straße gejagt, angezündet und vertrieben wurden. Außerdem gibt es ein Glossar mit den wichtigsten afrikanischen Begriffen.

Reise in die neue Welt


Wir brauchen neue Namen (c) Suhrkamp Verlag.jpgWir brauchen neue Namen

von No Violet Bulawayo. Suhrkamp Verlag 2014

Simbabwe: Die zehnjährige Darling lebt im Chaos einer Blechhüttensiedlung. Paradise heißt ihr Zuhause, und fast alles fehlt: der Vater, die Schule, der Fernseher oder auch nur genug zu essen. Doch hier lassen einen die Erwachsenen in Ruhe, die Entwicklungshelfer verschenken Spielzeug und in ganz Afrika kann man nirgendwo besser Guaven klauen. Für alle anderen ist Paradise ein Scherbenhaufen aus zerbrochenen Träumen, für Darling und ihre Freunde der einzige Ort, der ihnen ans Herz gewachsen ist.

Mehr über Wir brauchen neue Namen

Bei Suhrkamp findest du eine Leseprobe