Die Berbervölker in Nordafrika
Die Berber gehören zu den ältesten Bewohnern Nordafrikas. "Berber" ist eine Sammelbezeichnung für die ursprünglichen Völker der nordafrikanischen Länder Algerien, Libyen, Mauretanien, Marokko und Tunesien. Ihre Vorfahren stammen vermutlich von den Libyern, Garamanten und Numiden. Diese teils nomadisch lebenden Völker unterscheiden sich sprachlich und kulturell von den arabisierten Mehrheitsgesellschaften. Die Berber selbst bezeichnen sich als Imazighe, als "Freie". Die Bezeichnung "Berber" kommt vermutlich von dem griechischen Wort "bárbaros", und ist für viele Imazighe eine abwertende Fremdbezeichnung. Die Imazighen lebten einst verstreut über ganz Nordafrika. Sie waren Nomaden, liebten ihre Freiheit und lebten im Einklang mit der Natur. Durch die Phönizier und Römer im Altertum und viele Jahrhunderte später durch die islamischen Eroberungszüge zogen sich die Imazighen-Völker in die Berge von Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen zurück. Heute siedeln mehr als 30 Millionen Imazighen in diesen Ländern. Ihre Flagge erzählt von ihrem Gebiet und ihrem Geist: Blau steht für das Mittelmeer, Grün für die Natur und die grünen Berge, Gelb für den Sand der Sahara. Das rote Zeichen steht für "Yaz" und bedeutet "freier Mann".
Land und Leute
Die meisten Berbervölker sind heute sesshaft. In den ländlichen Gebieten leben sie in „Ksar“, in befestigten Dörfern. Meist sind die Häuser aus Lehmziegeln gebaut. Einige Imazighen haben ihre Dörfer in unwegsamen Bergtälern errichtet. So sind sie geschützt vor Eindringlingen. Sie haben sich an das schwierige Leben in den Bergen angepasst. Sie ernähren sich von Viehzucht und Ackerbau. Wasser ist knapp. Nur im Winter ist genügend Wasser in den Flussoasen, so dass sie ihre Felder bestellen können. Die Felder gehören den Großfamilien, sie besitzen auch das Recht auf bestimmte Mengen von Wasser.
Oben im Bild siehst du ein altes Berberdorf im Atlasgebirge. Berberfrauen sind oft unverschleiert und nehmen aktiv am Leben der Dorfgemeinschaft teil. Einzige Ausnahme sind die Dorfversammlungen, in denen die Familienclans über die Angelegenheiten des Dorfes beraten. Diese Beratungen sind reine Männersache. Berberfrauen nutzen die Hennapflanze zu kosmetischen Zwecken. Der rote Farbstoff dient nicht nur zum Schminken, sondern soll auch bestimmte Krankheiten heilen und böse Geister vertreiben. Außerdem ist Henna ein Symbol der Eintracht und des Friedens. Das Wort „Henna“ bedeutet auch „es schenkt Frieden“.
Almauftrieb in den Bergen von Nordafrika
Das Leben der Imazighen wird von den Tieren bestimmt. Schon ihre Vorfahren waren Kamelnomaden, die im Fessan beheimatet waren. Arabische Beduinen vertrieben sie um die Zeitenwende in die zentrale Sahara. Sie zogen sich in die Gebirgswelten des Tassili n'Ajjer, Aïr und Ahaggar zurück, wo sie seit dieser Zeit leben. Sie sind sesshaft geworden und ernähren sich von Ackerbau und Viehzucht. Im Frühling treiben sie die Schaf- und Kamelherden in die Berge. In jeder Familie bleiben einige zurück und bestellen die Felder, bis ihre Familien im Herbst wieder ins wärmere Tal zurückkehren. In den Tälern lebt man in Häusern, in den höheren Bergen in Zelten aus Kamelhaardecken. Aus der Tierhaltung beziehen die Berber Wolle, Stoffe und Fleisch. Auf dem Foto links siehst du eine Olivenmühle im Hohen Atlas. Olivenöl war schon zur Römerzeit ein wichtiges Exportgut der Berber. Auch heute noch ist Olivenöl eine wichtige Einkunftsquelle der Bergbauern.
Kinder tragen schon früh zum Familienunterhalt bei
Die Berber leben in Großfamilien. Die Familie ist sehr wichtig, ohne sie kann kaum einer in den kargen Bergwelten überleben. Berberkinder haben viele Freiheiten, aber sie müssen auch früh mithelfen. Die Söhne helfen den Vätern bei der Tierhaltung. Sie kümmern sich um das Futter und treiben das Vieh auf die Weide. Die Frauen versorgen die Familie und verarbeiten Produkte aus der Tierhaltung. Sie stellen Schmuck her und weben bunte Stoffe. Auch die Töchter arbeiten schon früh mit. Sie passen auf die kleineren Geschwister auf, versorgen das Kleinvieh und helfen beim Weben und Schmuck herstellen. So tragen alle zum Unterhalt der Familien bei.
Woran die Berber glauben
Die Imazighen haben in frühesten Zeiten eine Naturreligion gepflegt. Sie haben die Sonne verehrt und vermutlich auch den Mond. In ihrem alten Volksglauben spielt der Glaube an magische Kräfte eine große Rolle. Eine besondere Bedeutung besitzt "Baraka", der göttliche Segen. Menschen können "Baraka" haben, aber auch Gegenstände, Pflanzen, Tiere oder bestimmte Substanzen. Viele Imazighen gehen bei körperlichen oder seelischen Beschwerden nicht zum Arzt, sondern zu einem Heiler oder einer Heilerin. Die Heiler behandeln die Kranken mit Pulvern, Beschwörungsformeln sowie mit verschiedenen Talismanen. Dazu gehören Schmuckstücke wie die "Hand der Fatima", die bei Liebeskummer, Kopfschmerzen und Prüfungsangst helfen soll. Viele glauben an Geister. Bei Besessenheit befragen die Heiler ihren „Dschinn“. Das ist ihr persönlicher Geist, den sie in Trance kontaktieren. Von diesem persönlichen Geist erhalten sie Botschaften, wie sie die Besessenheit heilen können. Die Berberfrauen färben mit Hennafarbe Muster auf Gesicht und Hände, denn sie glauben, dass sie das vor Unglück schützt. Die Imazighen haben nicht nur ihren alten Glauben bewahrt. Sie feiern auch andere Feste als die Araber.
Der Islam erobert die nordafrikanischen Nomadenvölker
Als der Islam im 7. Jahrhundert Nordafrika eroberte, wurden die zahlreichen Berbervölker dazu gezwungen, die islamische Religion anzunehmen. Die arabische Sprache verdrängte ihre Sprache, das Tamazight. Die Araber waren als Händler geschätzt, doch ihr Glaube wurde als fremde Religion zunächst abgelehnt. Erst nach vielen Kämpfen zwischen Berbern und Arabern setzte sich der Islam durch. Mit der Übernahme des Islam veränderte sich die Stellung der Berberfrauen. Noch im Mittelalter wurden die meisten Stämme von Frauen geführt. Frauen hatten eine machtvolle Stellung in der Großfamilie. In einigen Stämmen wurde die Erbfolge von ihnen bestimmt. Frauen hatten religiöse und miitärische Führungspositionen inne. Eine der bekanntesten weiblichen Anführerinnen war Kahina, die sich im 7. Jahrhundert den einfallenden Heeren der Araber entgegenstellte. Doch der Islam war nicht mehr aufzuhalten. Für die Frauen der Berbervölker hatte die Islamisierung nur Nachteile. Die Frauen verloren ihren Einfluss und ihre gesellschaftliche Stellung. Männer übernahmen die Führung der Stämme. Zwar besitzen Berberfrauen heute mehr Freiheiten als Frauen in arabischen Gesellschaften. Aber alte Freiheiten sind verschwunden. Heute bestimmt die Großfamilie über die Heirat, die Männer bestimmen über das Schicksal der Klans.
Die Königreiche der Berber
Königreiche im Altertum
Die Geschichte der Berbervölker reicht sehr weit zurück. Sie haben die Küsten Nordafrikas als erste besiedelt. In den Felszeichnungen der Sahara hinterliessen sie die ersten Kunstwerke. Als die Phönizier die Mittelmeerküsten eroberten, zogen sich die Berber in die Bergregionen der Sahara zurück. Sie gründeten in ihrer langen Geschichte eigene Staaten wie die Königreiche Tahert, Tlemcen und Kairouan. Auch die alten Ägypter haben schon von den Berbern berichtet, die immer wieder ihre Westgrenze bedrohten. Das Berbervolk Meschwesch eroberte das ägyptische Reich und begründete unter dem König Scheschonq I die 22. Dynastie. Erst die Römer beendeten die Herrschaft der Berber über Ägypten.
Königreiche im Mittelalter
Die Imazighen mussten immer wieder um ihre Freiheit kämpfen. Im 16. Jahrhundert fanden große Umbrüche in den Sahelreichen statt. Das mächtige Songhaireich ging im Zuge des marokkanischen Eroberungsfeldzuges im 16. Jahrhundert unter. Die Tuareg drangen in die Sahelzone vor und eroberten Timbuktu. Sie errangen auch die Kontrolle über das Sultanat Air in Agadez. Während der französischen Kolonialzeit im 19. und 20. Jahrhundert wurden Berber und Araber gegeneinander ausgespielt. Dabei unterstützten die Franzosen den Machtkampf des berberischen Pascha von Marrakesch gegen den arabischen Sultan. Die Berberstämme durften ihre eigene Rechtssprechung beibehalten. Als die Maghreb Staaten, das sind alle nordafrikanischen Staaten westlich von Ägypten, ab 1956 unabhängig wurden, verloren die Berbervölker ihre Eigenständigkeit und ihren politischen Einfluss. Da sie heute in den Maghreb-Ländern in der Minderheit sind, haben sie in keinem dieser Länder politische Macht.
Die Imazighen heute
Das Leben der Imazighen verbesserte sich leider nicht, als die nordafrikanischen Staaten unabhängig von den europäischen Kolonialmächten wurden. Im Gegenteil. Sie mussten Arabisch als offizielle Landessprache annehmen. Auch in den Schulen, Universitäten und Behörden war Arabisch Pflicht. Die Berbersprachen wurden unterdrückt, und ihre Kultur wurde gering geschätzt. In einigen nordafrikanischen Ländern durften Berber ihren Kindern nicht einmal einen berberischen Namen geben.
Die Imazighen waren ihre Freiheit gewohnt, sie revoltierten gegen die Fremdbestimmung und schlossen sich zusammen. Sie erhoben sich gegen die Regierungen in Algerien und Libyen und stürzten den libyschen Staatschef Gadaffi, der einer der größten Widersacher der Berber war. Als 2012 Berberkinder in Marokko wie auch in Algerien eingeschult wurden, stand das erste Mal ihre Sprache, das "Imazigh", auf dem Lehrplan. Es war ein Meilenstein in der Anerkennung der Berber. Heute beginnen die iungen Imazighen, sich ihren Platz in der modernen Gesellschaft des Maghreb zurückzuerobern.
Eine Sonderstellung unter den Berbervölkern besitzen die Tuareg. Sie gehören zu den wenigen Völkern, die teils noch als Nomaden leben und das Jahrtausende alte Wissen über das Leben in der Wüste pflegen.